Dienstag, 25. August 2009

Vom Glück

Wir hatten sehr wenig zum Leben, fast nichts - aber empört hätten wir von uns gewiesen, daß wir "arme Leute" seien. Wir waren keine "armen Leute". Wir brauchten weder Mitleid noch Wohltätigkeit. Das hätte uns angewidert, denn wir waren glücklich. Glück haben, das kann heißen, daß man Erfolg hat, daß alles Unternommene gut ausgeht, daß glückliche Umstände das Leben leicht machen, daß man verschont wird. Aber solcherart war unser Glück nicht. Wir wurden nicht verschont, und leicht wurde es uns nicht gemacht , auch Erfolg mit der daraus strömenden Geldfülle hatten wir nicht im geringsten. Gewiß hätten wir viele Wünsche haben können, aber wir verschwendeten an unerfüllbare Wünsche keine Kraft. Wir halfen uns, so gut wir konnten, und aus der Erkenntnis der großen allgemeinen Situation nahmen wir die unsere hin. Wir waren glücklich, denn wir lebten so, wie wir es für richtig fanden. Alles was wir taten, taten wir mit ganzem Herzen und mit aller Kraft, aus unserem eigenen freien Willen.

Wie wir dachten, so handelten wir. Und wie wir dachten und handelten, so wollten wir auch malen und zeichnen. Unser Leben sollte ganz klar und eindeutig und eins sein. So lebten wir, und deshalb waren wir glücklich, und das "Haben" spielte bei uns keine Rolle. Wir haben niemals den geringsten Neid empfunden, wie wir Luxus und Eleganz sahen. Unser Leben war von uns geformt und gewollt. Wie viele Menschen können das von ihrem Leben sagen?

Lea Grundig, Gesichte und Geschichte, Dietz Verlag Berlin, 1958, S. 137f. Bild: Hans Grundig - Bildnis Lea Grundig, Öl, 1928.


Lea Grundig (1906-1977) war eine bedeutende Malerin und Graphikerin. Sie kämpfte an der Seite ihres Mannes Hans gegen den Faschismus. Mit knapper Not entkam sie den faschistischen Henkern.
siehe auch: Ossietzky 19/2009

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